Unterstützung auf europäisch
Mit der Förderperiode 2021–27 wird der ESF zu ESF+. Die grundsätzliche Ausrichtung zur Schaffung einer gerechten und sozial inklusiven Gesellschaft und das Engagement für Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen, besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und ein hohes Beschäftigungsniveau bleiben unangefochten. Egbert Holthuis Referatsleiter Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration, Länderreferat für Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, gibt Einblicke in die Vision auf europäischer Ebene.
ESF: Herr Holthuis, welche Neuerungen bringt die Förderperiode 2021-2027 für den ESF+?
EH: Eine Neuerung nach dem Auslaufen der Europa 2020-Strategie besteht darin, dass der ESF+ ein zentrales Finanzierungsinstrument zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte sein wird. Weiters wird der ESF+ dringend benötigte Ressourcen für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise zur Verfügung stellen. Denn die Krise hat insbesondere junge Menschen, Kinder und Schutzbedürftige in eine prekäre Lage gebracht. Eine dritte Neuerung besteht darin, innovative Beschäftigungsmöglichkeiten in den Bereichen Digitalisierung und Klimawandel zu schaffen und eine qualifizierte, widerstandsfähige Arbeitnehmerschaft aufzubauen, die für den Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft gerüstet ist. Dies kommt vor allem den Bedürfnissen junger Menschen – der nächsten Generation Europas – entgegen, deckt sich aber ebenso mit der Notwendigkeit von Unternehmen nach gut ausgebildeten Fachkräften, um klimafreundliche Technologien oder digitale Geschäftsmodelle auf den Markt zu bringen.
ESF: Es ist doch einiges neu. Auch in der Art und Weise darüber zu kommunizieren?
EH: Ein Ziel der Europäischen Kommission bestand darin, einfachere und klarere Regeln für alle EUFonds und EU-Programme aufzustellen. Das betrifft auch die Kommunikation über EU-finanzierte Projekte: Anstelle der Bezeichnung der einzelnen Fonds, Programme oder Akronyme gibt es künftig nur ein Branding – das Emblem der Europäischen Union. Der Mehrwert der EU kann so noch einfacher vermittelt werden, denn vielfach kommt es gar nicht darauf an, aus welchem Fonds oder welchem Programm ein Projekt finanziert wird, sondern dass es durch die EU mit-finanziert wird.
ESF: Die Verhandlungen zum EU-Haushalt wurden in einer kritischen Phase der Pandemie abgeschlossen. Wie hat sich Corona auf das Ergebnis ausgewirkt?
EH: Die dramatischen Entwicklungen während der Corona-Pandemie haben den Druck zu einer Einigung beim mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) sicherlich erhöht. Das aktuelle Konjunkturpaket fiel so umfassend wie noch nie aus, es bedurfte vieler Diskussionen in diplomatischen Kreisen. Allerdings wurde auch allen klar, dass es nicht um einzelne Interessen gehen darf, sondern um Solidarität, Zusammenhalt und um eine lebenswerte Umwelt. Dass der mehrjährige Finanzrahmen inklusive der zweiten Komponente, dem zeitlich befristeten Aufbauinstrument „NextGenerationEU“, zeitgerecht ausverhandelt wurden und die soziale Inklusion dabei immer im Fokus blieb, betrachte ich als einen enormen Erfolg.
ESF: Ist der gemeinsame Wiederaufbau ein historischer Moment für Europa?
EH: … so historisch wie die Krise selbst … Die Corona-Krise hat Europa vor noch größere Herausforderungen gestellt, als die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009. Die Kommission war gezwungen, schnell aktiv zu werden, und es gab einen großen Schulterschluss und Zusammenhalt. Die Mitgliedstaaten haben für den Wiederaufbau eine große Summe bereitgestellt. Die Aufgabe der Europäischen Kommission ist nun, die Mittel gemeinsam mit den Mitgliedstaaten intelligent einzusetzen. Wenn diese Zusammenarbeit gelingt, ist auch Europa erfolgreich. Der Aufbauplan ist der Beweis, dass Nachhaltigkeit und Inklusion sich ergänzen, nicht ausschließen. Die enormen Summen sind langfristig nicht verloren, sondern ein Investment. Daher ja: Es ist ein historischer Moment für Europa!
ESF: Auch der ESF erhält mit REACT-EU zusätzliche Mittel. Welche Rolle spielt er beim Wiederaufbau nach Corona?
EH: Die Europäischen Staatsund Regierungschefs haben mit REACT-EU die Möglichkeit geschaffen, die direkten Folgen der Corona-Krise abzufedern. Dafür werden bis 2023 insgesamt 47,5 Milliarden Euro eingesetzt. Der ESF spielt beim Wiederaufbau eine bedeutende Rolle. Auch und insbesondere in der Krise dürfen benachteiligte Jugendliche und armutsgefährdete
Menschen niemals zurückgelassen werden. Die Krise ist hier und jetzt, und Hilfe muss schnell erfolgen. Gleichzeitig ist der ESF+ im Zeithorizont der gesamten Förderperiode 2021- 2027 ein wichtiger Beitrag zur mittelfristigen Krisenbewältigung.
ESF: Herr Holthuis, wollen Sie uns abschließend noch Ihre Wünsche an das Leben in der EU nach Abschluss der Förderperiode 2021-2027 verraten?
EH: Wir haben gesehen, wie plötzlich Probleme auftreten können und wie wichtig es ist, auf derart massive Herausforderungen gut vorbereitet zu sein. Das Jahr 2020 war dafür eine gute Erfahrung. Niemand kann heute sagen, wie die Welt im Jahr 2028 aussehen wird. Die Strukturfonds leben von einer gewissen Konstanz, und insbesondere der ESF kann effektiv dazu beitragen, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung abzumildern. Wenn wir mehr Chancengleichheit schaffen, haben wir gemeinsam viel erreicht. Persönlich würde es mich freuen, wenn sich alle ESF Player in Österreich bald wieder physisch treffen können, denn direkte Kontakte fehlen uns allen!